Der französische Premierminister macht sich zur Geisel der Sozialisten

Die neue Regierung von Sébastien Lecornu könnte diese Woche überleben – für den Preis, dass die verhasste Rentenreform ausgesetzt wird. Das ist ein teures und törichtes Versprechen.


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Der französische Premierminister Sébastien Lecornu ist erst kürzlich zurückgetreten. Seine neue Minderheitsregierung bleibt fragil – wie die Abhängigkeit von den Sozialisten zeigt.

Sarah Meyssonnier / Reuters

Nun ist es also passiert: Sébastien Lecornu ist vor den Sozialisten eingeknickt. Der französische Premierminister hat in seiner ersten Regierungserklärung am Dienstag vorgeschlagen, die Rentenreform von Präsident Macron auszusetzen – jenes Grossprojekt, das vor zwei Jahren Hunderttausende auf die Strasse trieb und ein zentrales Vermächtnis Macrons werden sollte.

Leben wie Gott in Frankreich

Konkret kündigte Lecornu an, die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters bis Januar 2028 auf dem jetzigen Stand einzufrieren. Momentan liegt das gesetzliche Rentenalter in Frankreich bei 62 Jahren und 9 Monaten. Wer in den nächsten zwei Jahren sein Arbeitsleben beendet, soll sich also weiterhin in diesem komfortablen Alter zur Ruhe setzen können. Leben wie Gott in Frankreich!

Lecornu erfüllt damit eine zentrale Forderung der Sozialisten, ohne deren Duldung seine Minderheitsregierung keine Überlebenschance hat. Die radikale Linke und das rechte Rassemblement national haben schon Misstrauensvoten eingereicht und angekündigt, die Regierung auf jeden Fall stürzen zu wollen. Lecornu musste also auf den Parti socialiste zugehen. Und der nutzte seine Schlüsselrolle mit maximalem Kalkül: Nicht nur ist die verhasste Rentenreform vorerst erledigt, der neue Haushaltsentwurf sieht auch, ganz nach dem Geschmack der Linken, neue Steuern für Unternehmen und Vermögende vor.

Die Sozialisten haben sich von ihren linken Bündnispartnern abgesetzt, im Ergebnis aber fast dieselben Forderungen durchgesetzt. Dafür gewinnen sie in den Umfragen und erscheinen den Franzosen wieder als regierungsfähige Kraft. Lecornu hingegen riskiert, um seine fragile Mehrheit zu sichern, das Herzstück von Macrons Reformpolitik preiszugeben. Dabei warnen Wirtschaftsinstitute davor, was die Aussetzung der Rentenpläne das Land kosten würde: 500 Millionen Euro im kommenden Jahr, 1,8 Milliarden im Jahr 2027. Das ist Geld, das Frankreich nicht hat – und das die ohnehin rekordverdächtige Neuverschuldung noch weiter in die Höhe treiben dürfte.

Wie alle europäischen Gesellschaften kämpft auch Frankreich mit demografischen Problemen: einer steigenden Lebenserwartung, Babyboomern im Ruhestand und immer weniger Erwerbstätigen, die für die Rentner aufkommen müssen. Der Preis, den kommende Generationen zahlen müssen, ist hoch: Die Ausgaben für Pensionen übersteigen schon jetzt 14 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung.

Desaströses Signal an die Märkte

Macrons Reform mag schlecht kommuniziert und politisch autoritär umgesetzt worden sein, mithilfe eines verhassten Notstandsparagrafen, doch ökonomisch ist sie unerlässlich – auch, um Frankreichs Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten zu retten. Gleichwohl hält die politische Linke – ebenso wie die nationalistische Rechte von Marine Le Pen – an der Illusion fest, Frankreich könne seinen Wohlstand und seine sozialen Versprechen allein durch Umverteilung sichern.

Ob Lecornu diese Woche übersteht, ist noch nicht einmal ausgemacht. Bei den wirtschaftsliberalen Konservativen wächst der Widerstand; ob sich alle an die vom Parteichef Bruno Retailleau verordnete Stimmenthaltung bei den Misstrauensvoten halten, ist ungewiss. Vielleicht kann Lecornu seine und damit Macrons Macht sichern, aber wirtschaftlich schadet er dem Land enorm. Indem er den Sozialisten nachgibt, verschärft er die Krise, die er lösen will.

Es ist schon ironisch: Just in dieser Woche erhielt der Franzose Philippe Aghion den Wirtschaftsnobelpreis (gemeinsam mit zwei weiteren Preisträgern) – ein Ökonom, der erforscht, wie Innovation und Wettbewerb Wachstum vorantreiben, also genau das, was Frankreich eigentlich so dringend brauchte. «Die Zahl unserer Nobelpreisträger steht in umgekehrtem Verhältnis zu unseren wirtschaftlichen Erfolgen», spottete die Wirtschaftszeitung «Les Échos».

1 Kommentar

Tobias Suter

Das Trauerspiel geht weiter. Frankreichs Regierung von Macrons Gnaden tut alles, um möglichst lange den angezählten derzeitigen Präsidenten im Amt halten zu können. Dafür werden mit allen möglichen Parteien und Gruppierungen Abmachungen getroffen, auch wenn sie klar erkennbar das Land noch weiter dem finanziellen Abgrund näher bringen. Und EU und die EZB halten sich vornehm zurück und schauen der galoppierenden Verschuldung einfach nur zu. Die EZB bekräftigt damit immer wieder von neuem die unsägliche Aussage von Draghi, die zum eigentlichen Freipass für ungezügelte Verschuldung der EUR Länder geworden ist.