In Rumänien legt die russlandfreundliche Ultrarechte zu. Für eine Mehrheit reicht es aber nicht

Nach dem Überraschungserfolg eines Ultranationalisten bei den Präsidentschaftswahlen war die Anspannung vor den Parlamentswahlen gross. Obwohl ein neuer Triumph der extremen Rechten ausbleibt, steht das politische Leben weiterhin kopf.

Volker Pabst 4 min
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Die ultranationalistische Partei AUR, im Bild der Parteichef George Simion, kann ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren beinahe verdoppeln.

Die ultranationalistische Partei AUR, im Bild der Parteichef George Simion, kann ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren beinahe verdoppeln.

Alkis Konstantinidis / Reuters

Ultranationalistische und latent bis offen prorussische Parteien haben bei den rumänischen Parlamentswahlen am Sonntag gemeinsam den höchsten Stimmenanteil seit dem Ende des Sozialismus erzielt. Dennoch dürften die etablierten, prowestlichen Parteien des Landes und mit ihnen Rumäniens Verbündete in EU und Nato etwas aufatmen.

Sozialdemokraten bleiben stärkste Partei

Nach dem Paukenschlag der Präsidentschaftswahlen, in deren erster Runde vor acht Tagen Calin Georgescu, ein Putin-Versteher und Verherrlicher der faschistischen Zwischenkriegszeit, völlig überraschend am meisten Stimmen erhalten hatte, schlug das Pendel am Sonntag leicht zurück. Nach Auszählung der allermeisten Stimmen liegen die Sozialdemokraten des Regierungschefs Marcel Ciolacu mit knapp 22 Prozent vorne.

Die Regierungsparteien verlieren stark, die extreme Rechte legt zu

Stimmenanteil der Parteien, in Prozent
PSD (Sozialdemokraten)
22%
-6,9
AUR (souveränistisch)
18%
+8,9
PNL (Konservative)
13,2%
-12
USR (lib. Reformpartei)
12,4%
-3
SOS (souveränistisch)
7,4%
+7,4
POT (souveränistisch)
6,5%
+6,5
UDMR (ung. Minderheit)
6,3%
+0,6

An zweiter Stelle folgt die Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) mit 18 Prozent, die damit ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren fast verdoppelte. Die rechtspopulistische Partei spricht sich gegen die militärische Unterstützung der Ukraine aus, fordert weniger Einmischung aus Brüssel und setzt sich für einen Anschluss der Moldau an Rumänien ein. Calin Georgescu, der siegreiche Kandidat der Präsidentschaftswahl, war bis 2022 Mitglied von AUR gewesen.

Zusammen mit zwei kleineren nationalistischen Parteien (SOS und POT), die ebenfalls den Einzug ins Parlament schafften und teilweise noch deutlich extremere Positionen vertreten, kommen die sogenannten souveränistischen Kräfte auf einen kumulierten Stimmenanteil von 32 Prozent. Das ist etwas weniger, als die Kandidaten aus diesem Lager bei den Präsidentschaftswahlen vor einer Woche zusammengezählt erzielt haben.

Entfremdung von etablierten Kräften

Wie eine künftige Regierung aussehen könnte, ist noch völlig offen. In den letzten Jahren wurde Rumänien von einer äusserst unbeliebten Koalition aus den postkommunistischen Sozialdemokraten und den konservativen Nationalliberalen regiert. Das Land blieb dadurch vordergründig auf prowestlichem Kurs. Wichtige innenpolitische Reformvorhaben, vor allem im Justizbereich, kamen aber vollständig zum Erliegen.

Die Koalition war von Präsident Klaus Iohannis zur Machtsicherung eingefädelt worden. Auch der eigentümliche Wahlmarathon, den das Land gerade durchläuft, war letztlich ein machtpolitisches Manöver. Vor acht Tagen fand die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt, am Sonntag nun die Parlamentswahl. Am kommenden Wochenende steht die Stichwahl ums höchste Staatsamt an. Das Kalkül dahinter war, dass ein gutes Abschneiden der regierungsnahen Präsidentschaftskandidaten sich auch positiv auf die Parlamentswahl auswirken würde.

Durchsichtige Manöver dieser Art haben wesentlich zur Entfremdung der Bevölkerung von den etablierten Parteien und zum Aufstieg rechtsextremer Protestparteien beigetragen. Vor allem die Nationalliberalen, die während Jahren die von Korruptionsskandalen erschütterten Postkommunisten zum Erzfeind stilisiert hatten, verloren viel Glaubwürdigkeit. Sie erreichten am Sonntag 13,2 Prozent und büssten damit im Vergleich zur letzten Wahl fast die Hälfte ihrer Stimmen ein.

Vor der Wahl galt die Fortsetzung der sozialistisch-konservativen Koalition für alle reformorientierten, prowestlichen Rumäninnen und Rumänen als rotes Tuch. Angesichts des Überraschungserfolgs der Ultranationalisten bei der Präsidentschaftswahl dürfte der wahrscheinliche Verbleib beider etablierten Parteien an der Macht allerdings auch in diesen Kreisen als das kleinere Übel angesehen werden.

Politisches Chaos

Die einzige wirklich glaubwürdige Reformkraft Rumäniens, die liberale USR, kam am Sonntag auf 12,4 Prozent. Ihre Spitzenkandidatin Elena Lasconi hatte sich vor einer Woche als Zweitplatzierte für die Stichwahl ums Präsidentenamt qualifiziert. Die Hoffnung der demokratischen und proeuropäischen Kräfte ruhen darauf, dass sie trotz dem mässigen Abschneiden ihrer Partei über das eigene Lager hinaus die Wähler für sich mobilisieren kann.

Ob es am 8. Dezember überhaupt zur Stichwahl kommen werde, war während einiger Tage allerdings gar nicht klar. Der Überraschungserfolg Georgescus hat ein Chaos ausgelöst, das nicht nur viele Kommentatoren sprachlos zurückliess, sondern auch bei staatlichen Institutionen zu überstürzten Reaktionen führte.

Wegen der Beschwerde eines – völlig chancenlosen – Kandidaten hatte die Wahlkommission Ende vergangener Woche eine Neuzählung angeordnet. Erst am Montagabend urteilte das Verfassungsgericht, dass der erste Durchgang der Präsidentschaftswahl gültig sei und nicht wiederholt werden müsse. Inwiefern das Wahlergebnis vom Sonntag auf den Richterentscheid eingewirkt hat, ist Spekulation. Die rumänische Justiz steht im Ruf der politischen Beeinflussbarkeit.

Warnung vor Wahlwiederholung

Besonnene Stimmen hatten eindringlich davor gewarnt, aus leichtfertigen Gründen die Wahl zu annullieren. Dies würde den Anschein erwecken, die etablierten Kräfte wollten das unbequeme Resultat auf juristischem Wege revidieren. Tatsächlich hätte das ultranationalistische Lager dadurch wohl nur noch mehr Proteststimmen erhalten. Wenige Wochen vor dem Urnengang war die Kandidatin der rechtsextremen Partei SOS unter fadenscheinigen Gründen von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen worden, was über ihre Lager hinaus für grosse Empörung gesorgt hatte.

Das rumänische Staatsoberhaupt ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und gibt die aussenpolitischen Linien des Landes vor. Als Grenzstaat zur Ukraine und Schwarzmeeranrainer ist Rumänien für die Nato und die EU von grosser strategischer Bedeutung. Die Wahl eines prorussischen Präsidenten hätte Auswirkungen weit über das Land hinaus.